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Nicht regulierte Schadstoffe – von der legalen Einleitung von flüssigem Abfall

Mikroschadstoffe sind seit Jahren das Aufregerthema im Gewässerschutz.

Spurenstoffe, die in Nanogramm-Konzentrationen mittels Hightech-Analytik in Bächen und Flüssen nachweisbar sind, machen in den Medien Schlagzeilen und werden in der Fachpresse hoch- und runterdiskutiert. Erstaunlicherweise findet man aber immer wieder Schadstoffe, die in tausendfach höheren Konzentrationen in unseren Gewässern vorkommen. Wenn man Schadstoffe im Mikrogrammbereich in unseren großen Flüssen analysieren kann, muss das auf Einleitungen zurückzuführen sein, bei denen die Schadstoffe mindestens in der Größenordnung von 100 Kilogramm oder mehr pro Tag in die Gewässer emittiert werden. Zumeist handelt es sich dabei um Schadstoffe, die „nicht reguliert“ sind – soll heißen: Diese Stoffe finden sich weder in der Oberflächengewässerverordnung noch in den „individuellen“ Erlaubnisbescheiden der Firmen, die diese Stoffe einleiten.

Die nicht regulierten Stoffe werden in der Regel trotz ihrer hohen Konzentrationen nur durch Zufälle entdeckt – beispielsweise durch die Labore, die die Wasserversorger in den Niederlanden betreiben. Denn was im Rheineinzugsgebiet in die Gewässer eingeleitet wird, muss irgendwann in den drei niederländischen Rheinarmen wieder auftauchen. Die dort nachweisbaren Schadstoffe stoßen den niederländischen Wasserwerken sauer auf – denn die dortigen Wasserversorger müssen aus dem Rheinwasser für Millionen Holländer ein genießbares Trinkwasser produzieren.

Manchmal sind es aber nicht die Analyse-Cracks der niederländischen Highttech-Labore, die einem „nicht regulierten“ Schadstoff auf die Spur kommen. Manchmal ist es auch ein deutscher Doktorand, der in seiner Heimatkommune am unteren Neckar das Trinkwasser analysiert – und dann baff erstaunt ist, wenn er im Trinkwasser Trifluoracetat im zweisstelligen Mikorgrammbereich ausfindig macht. Nachdem man den Befunden zunächst keinen Glauben schenken wollte, hatten Nachanalysen das gleiche Ergebnisse erbracht. Die Trifluoracetatkonzentrationen hatten den vom Umweltbundesamt festgesetzten Gesundheitlichen Orientierungswert (GOW) von 3 Mikrogramm pro Liter um ein Mehrfaches überschritten.

Nachdem man an den beunruhigenden Analysebefunden nicht mehr rütteln konnte, machte man sich zusammen mit der baden-württembergischen Landesanstalt für Umwelt (LUBW) auf die Suche nach der Herkunft von Trifluoracetat – und wurde am mittleren Neckar in der Nähe von Heilbronn fündig. Dort produziert die Solvay Fluor Chemie GmbH in Bad Wimpfen fluorierte Chemikalien. Dabei gelangt Trifluoressigsäure in hohen Frachten in die Abluft. Über einen Wäscher wird die fluorierte Essigsäure aus der Abluft ausgewaschen – und gelangt damit notwendigerweise in den Abwasserpfad. Das sich dort bildendende Salz der Trifluoressigsäure – das Trifluoracetat – wurde mit bis zu 100 kg pro Tag in den Neckar eingeleitet. Die Folge: In Neckarhausen-Edingen, wo kurz unterhalb von Heidelberg das Trinkwasser aus dem Uferfiltrat des Neckars gewonnen wird, ist das Trinkwasser für den menschlichen Konsum nicht mehr tauglich. Die Trinkwasserversorgung der Gemeinde muss jetzt kostenträchtig auf eine andere Versorgungsvariante umgestellt werden. Darüber hinaus ist aber zu befürchten, dass mittelfristig auch die Trinkwasserversorgung der 300.000-Einwohnder-Stadt Mannheim in Gefahr kommen könnte. Denn auch die Wasserversorgung von Mannheim nutzt Neckaruferfiltrat.

Die Solvay Fluor Chemie GmbH lehnt sich entspannt zurück und ist sich keiner Schuld bewusst. Die Obere Wasserbehörde im Regierungspräsidium Stuttgart hatte nämlich versäumt, Trifluoracetat in der wasserrechtlichen Erlaubnis nach § 57 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) mit einem Grenzwert zu versehen. Und bisherige Lesart im Wasserrecht ist: Was im Erlaubnisbescheid nicht reguliert (begrenzt) wurde, darf man straflos einleiten. Straflos heißt, dass man nicht gegen § 324 Strafgesetzbuch verstoßen hat. Nach § 324 StGB wird man mit Freiheitsstrafe zwischen drei und fünf Jahren geahndet, wenn man ohne wasserrechtliche Erlaubnis ein Gewässer benutzt. „Dummheit im Amt kann man nicht bestrafen!“

Normalerweise gilt im Wasserrecht ein Erlaubnisvorbehalt. Eine Nutzung von Gewässern – dazu gehören auch Abwassereinleitungen – ist nur zulässig, wenn man dafür von der zuständigen Wasserbehörde eine wasserrechtliche Erlaubnis nach § 8 bzw. nach § 57 (WHG) bekommt. Auf eine Erlaubnis hat man keinen Rechtsanspruch: Es liegt im Bewirtschaftungsermessen der Behörde nach § 12 WHG, ob sie eine Erlaubnis erteilt. Insofern ist das Wasserrecht einen Tick schärfer als das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG). Denn lt. BImSchG hat man einen Rechtsanspruch auf eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung, wenn man den Stand der Technik (entsprechend der einschlägigen Verordnungen zum BImSchG) einzuhalten in der Lage ist. Das Wasserrecht „als schärfstes Schwert“ im Umweltrecht bleibt aber stumpf, wenn sich Emittenten bei den „nicht regulierten“ Stoffen darauf berufen können, dass ein maßgeblicher Inhaltsstoff in ihrem Abwasser in der wasserrechtlichen Erlaubnis gar nicht auftaucht. Wenn ein Umweltverband dann staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegenüber der schlafmützigen Wasserbehörde wegen Beihilfe zur Gewässerverunreinigung beantragt, bekommt man vom Staatsanwalt gesagt: „Dummheit im Amt kann man nicht bestrafen!“

Nach Auffassung des Arbeitskreises Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU) muss das künftig anders werden. Der BBU fordert, dass entweder schon im Wasserhaushaltsgesetz oder in der Abwasserverordnung (AbwV) oder zumindest in den branchenspezifischen Anhängen zur AbwV Regelungen dahingehend getroffen werden, dass auch die nicht regulierten Stoffe künftig einem generellen Erlaubnisvorbehalt unterliegen. Es darf künftig nicht mehr sein, dass die Schusseligkeit eines Behördenmitarbeiters dazu führt, dass die Einleitung von großen Frachten an Schadstoffen legal bleibt. Zudem muss es künftig zum Standard werden, dass die Emittenten „die Hosen runter lassen müssen“ – soll heißen, dass in den vorzulegenden Abwasserkatastern tatsächlich alle abwasserrelevanten Produktionsvorgänge offengelegt werden müssen. Wenn – wie bei der Solvay Fluor Chemie GmbH - die Vorlage von lückenhaften Abwasserkatastern dazu führt, dass es zur Einleitung von „nicht regulierten“ Schadstoffen – genau genommen von flüssigem Abfall – kommt, müssen auch derartige Versäumnisse künftig nach § 324 StGB sanktioniert werden.

 

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